Die EU-Richtlinie EU 90/270, Teil 3, die Mensch-Maschine-Schnittstellen definiert, schreibt vor, dass
- Software der auszuführenden Tätigkeit angepasst sein muss.
- Software benutzerfreundlich sein muss.
- Sie dem Kenntnis- und Erfahrungsstand des Benutzers angepasst sein muss.
- Das System Angaben über die jeweiligen Abläufe bieten muss.
- Informationen in einem Format und in einem Tempo präsentiert werden müssen, das dem Benutzer angepasst ist.
Diese Richtlinien sind theoretisch von jedem Anwender einklagbar. Darüber hinaus ist die Designevaluation von virtuellen Lernumgebungen in der Regel aufgrund der medienspezifischen Besonderheiten ein äußerst komplizierter Vorgang, der auf viel Erfahrung seitens der Entwickler und eine interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgruppe angewiesen ist. Nach Holz von der Heide existieren drei Fragen, die durch Evaluation beantwortet werden sollen:
- Which is better? (Vergleich bestehender Alternativen)
- How good? (Ziel ist hier der Nachweis, dass das Produkt gewünschte bzw. geforderte Qualitätsmerkmale aufweist)
- Why bad? (Schwachstellenanalyse, konstruktive bzw. formative Evaluation)
Eine detaillierte Beschreibung der notwendigen Arbeitsschritte und der zu beachtenden Kriterien würde den Umfang dieser Arbeit sprengen. Dennoch soll an dieser Stelle versucht werden, die wichtigsten Punkte zu benennen. Da es sich bei Softwareevaluation um eine internationale Disziplin handelt, werden im nachfolgenden Abschnitt vornehmlich die englischsprachigen Fachbegriffe incl. einer deutschen Übersetzung verwendet.
Entwickler virtueller Lernumgebungen haben spätestens nach der Fertigstellung eines Prototypen die Möglichkeit, anhand von Kriterienkatalogen eine erste Standortbestimmung ihrer Arbeit vorzunehmen. Accessibility (Zugriffsmöglichkeit) kann überprüft werden, indem Verfüg- und Erreichbarkeit von hypermedialen Verlinkungen nachvollzogen werden. Im Gegensatz zu Adaptivity, das die Fähigkeit der Lernumgebung, ein bestehendes Usermodell während der Eingabe zu verändern und sich dynamisch an neue Umgebungsvariablen anzupassen, beschreibt Adaptability (Adaptionsmöglichkeit) die Fähigkeit des Systems, basierend auf Präferenzen und Hintergrundinformationen nach den Wünschen und Entscheidungen des Users konfiguriert zu werden. Predictability (Vorhersagbarkeit) misst, wie einfach es für den Anwender ist, die Reaktion des Systems auf sein eigenes Userverhalten zu verstehen. Entwickler müssen entscheiden, für welche Anpassungsmöglichkeit sie votieren, wie diese technisch, organisatorisch und finanziell umzusetzen ist und eine Kosten-Nutzen Analyse durchführen. Usabilty (Anwendbarkeit) beschreibt hier den Aufwand, den ein Anwender betreiben muss, um mit dem System zu arbeiten und einzelne Aufgaben zu seiner Zufriedenheit lösen zu können.
Self-evidence (Selbsterklärung) gibt an, wie einfach es für den Anwender ist, eigenständig die visuelle Navigationsstruktur zu erkennen und den für ihn relevanten Links zu folgen. Häufig sind Entwickler überrascht, wie Benutzer ihre entwickelten Anwendungen in der Praxis benutzen. Functionality (Funktionalität) kann nur in Zusammenarbeit mit potentiellen Anwendern untersucht werden, allgemeine Heuristik – die einfache Betrachtung der Benutzerschnittstelle durch den Entwickler unter Einbeziehung seiner persönlichen Kenntnisse über Gebrauchstauglichkeit – ist nicht ausreichend. Laut Nielsen finden bereits 3 Evaluatoren 75 Prozent der vorhandenen Gebrauchstauglichkeitsprobleme. Sie sind jedoch nicht in der Lage, eine Vorhersage über die Zufriedenheit der Benutzer mit der Anwendung zu treffen. Assistance (Hilfemöglichkeiten) untersucht die verschiedenen Optionen, die ein Anwender hat, aus einer Lernumgebung heraus selbstständig weiterführende Informationen zu erhalten. Entwickler von virtuellen Lernumgebungen müssen Erkenntnisse darüber erhalten, ob und wie Lerner die angebotenen Hilfestellungen als effektiv und weiterführend oder als störend und verwirrend empfinden. Hilfestellungen sollten nur dann angeboten werden, wenn der Benutzer nicht mehr in der Lage ist, eine Aufgabenstellung alleine zu lösen. Die Auslotung des adäquaten Zeitpunktes sollte im Idealfall, abhängig von Vorwissen, kognitiven und technischen Fähigkeiten, individuell auf jede Lerngruppe bezogen erfolgen. Eng verbunden mit Assistance sind Availability (Verfügbarkeit) und Completeness (Vollständigkeit), die zum einen die Anzahl der fehlenden Information und die Strukturen der fehlenden Links und Verknüpfungen messen und zum anderen anzeigen, ob die Inhalte aktualisiert sind oder nicht und ob Informationen, die sich in einer Datenbank befinden auch tatsächlich immer abrufbar sind.
Consistency (Konsistenz) misst inwieweit eine Lernumgebung durch gleich bleibende Designfeatures (Navigationselemente, Hilfestellungen, Farben, Verlinkung etc.) den Lerner dabei unterstützt, sich auf gleich bleibend hohem Niveau in ihr zurechtzufinden. Consistency hilft gerade unerfahrenen Anwendern, da sie die kognitive Belastung entscheidend reduziert und die Zeit, die aufgewendet werden muss, um die Lernziele zu erreichen, minimiert wird. Dies führt zu mehr Zufriedenheit und ist gerade bei kommerziellen virtuellen Lernumgebungen ein Anreiz zum Kauf. Implementability (Einführbarkeit) definiert, inwieweit nachträglich weitere Features in das System eingebaut werden, d.h. inwieweit neue Inhalte oder Medien in die Lehreinheiten integriert werden können. Implementability gibt Aufschluss und Planungssicherheit darüber, inwieweit eine gewählte Lernplattform auf Veränderungen in der Zukunft vorbereitet ist. Maintainability (Wartungsarmut) beschreibt hingegen den Aufwand, der notwendig ist, um ein System zu warten und zu aktualisieren und Portability (Transferierbarkeit) zeigt an, wie einfach Daten von einer Anwendung/Umgebung zur nächsten übernommen werden können. Reliability (Zuverlässigkeit) sagt aus, wie häufig das System zusammenbricht bzw. Fehlermeldungen produziert.
Ein entscheidender Indikator für die Satisfaction (Zufriedenheit) – „Maße der Zufriedenheit beschreiben die Beeinträchtigungsfreiheit und die Akzeptanz der Nutzung [...] Maße der Zufriedenheit können sich auf Einstellungen beziehen, ein Produkt zu benutzen, oder auf das Benutzerurteil über Aspekte wie Effizienz, Nützlichkeit und Lernfreundlichkeit“ – ist die User-retention-overtime, die misst, wie lange die Anwender die angebotene Anwendung verwenden bzw. ihr treu bleiben.
Grundsätzlich ist es sinnvoll, die lokalisierten Probleme in mehrere Einheiten zu unterteilen, z.B.:
- Schwer: dieses Problem muss behoben werden, da es ansonsten keine oder falsche Lösungen gibt.
- Mittel: das Problem sollte behoben werden, um die Bedienung komfortabler zu machen.
- Leicht: zusätzliche aber ggf. verzichtbare Wünsche
Zum Abschluss des Evaluationsprozesses sollte eine Zusammenfassung der Verbesserungs-potentiale entstanden sein, die den Entwicklern einer virtuellen Lernumgebung einen Überblick über die nächsten Arbeitsschritte ermöglicht.